Geschichten eines alternden Gamers Teil 3: Klein und fein

Geschichten eines alternden Gamers Teil 3: Klein und fein

Vorweg ein paar Begriffserklärungen:
Troll: Eine Person, die in ein Forum, oder auf einer anderen digitalen Kommunikationsplattform etwas schreibt um die dort ansässigen Leute zu nerven, zu reizen und zu provozieren um dann die Reaktion zu genießen.
Lamer: ein Spieler, die andere Spieler beleidigt
Flamewar: eine Diskussion die entweder von Anfang an, oder im Laufe des Gesprächs zu mehr oder weniger schweren und sinnlosen Beleidigungen ausartet.

Communitys von damals waren kleine eingeschworene Gruppen, jeder kannte jeden und jeder hatte Spass an seiner Rolle und an seinem Mitgliederstatus. Der eine konnte dies, der andere das, man lebte kreativ zusammen unabhängig voneinander. Man wollte zusammengehören und man hatte Interesse an den Persönlichkeiten mit denen man es zu tun hatte. Heutzutage werden Spiele und Server Zentral verwaltet. Allein schon um den Singleplayer spielen zu können muss man sich für einige Spiele online registrieren und zwangsläufig einer Community anschließen. Man wird in eine Gruppe gezwungen und hat keinen Einfluss darauf wie diese zusammenpasst. Man wird auf Server gepfercht wie Vieh in einer Massenabfertigung und man wird in ein Forum gepfercht wie in einen Schweinestall – und genau so verhält sich die Masse dann auch dort. Das Individuum zählt nichts mehr, wenn man sich selbst einbringen will, dann muss man heutzutage schon großes leisten und Anerkennung kann man ohnehin vergessen, dazu geht ein wertvoller Beitrag in der Fülle von Müll-Beiträgen schlichtweg zu schnell unter. Auch die, die wollen können nicht, da sie einfach nicht mehr gesehen werden.
Ich möchte dies einmal anhand eines Beispiels darlegen, das wir alle kennen:
Früher waren Communitys so, wie wenn man sich nachmittags mit seinen besten Freunden auf dem Bolzplatz zum Fußballspielen traf. Man kannte und mochte sich, man respektierte sich und hatte Spass am Spiel und an der zwischenmenschlichen Kommunikation. Es war ein Miteinander an dem jeder nach seinen Fähigkeiten und seinem Willen mitwirken konnte.
Heute ist es wie eine große Schulsport Veranstaltung. Es gibt fixe Zeiten und fixe Räumlichkeiten, vielleicht mag man den einen oder anderen, aber keinesfalls alle, es gibt feste Abläufe und ein Chef von oben entscheidet was gespielt wird und wie die Regeln sind. Der zwischenmenschliche Austausch findet nicht oder zumindest nicht mehr auf einer sinnvollen Basis statt. Der Einzelne bewegt hier nichts mehr und zählt nichts mehr.

Geregelt wird Gaming heute von oben nach unten. Der Hersteller weiß wann du wie lange mit wem sein Spiel gespielt hast – der gläserne Gamer ist schon lange Realität und wurde nie kritisiert, man möchte fast meinen, dass das Gegenteil der Fall sei. Menschen rennen den Unternehmen geradezu die Bude ein und wollen sich so offen preisgeben. Gamertags findet man heute in jedem Forum, darauf ist klar zu erkennen welches Spiel man wie lange und wie Erfolgreich gespielt hat. Für viele Gamer scheint dies nun die Möglichkeit geworden zu sein in der Masse vielleicht doch noch aufzufallen. Dabei wird nicht beachtet, dass jeder so ein Gamertag hat und jeder versucht damit aufzufallen und bei jedem stehen irgendwelche Erfolge drin, mit denen letztlich ohnehin nur er und jene, die die selben Erfolge erreicht haben etwas anfangen können. Man zieht sich immer weiter aus um unter Milliarden Nutzern nur “jemand zu sein”. Eine Mechanik, die aus Social Networks wohl bekannt sein sollte.
Ja, Erfolge. Früher gab es eine Score in manchen Spielen, oder man überzeugte durch Können. Heute erspielt man sich “Achivements”, das sind Erfolge, die man bekommt, wenn man in einem Spiel bestimmte vorgegebene Dinge erfüllt, wie zum Beispiel ein bestimmtes Level in einer bestimmten Zeit abzuschließen, oder einen bestimmten Gegner auf eine bestimmte Art zu besiegen. Viele dieser Achivements sind absolut einfach zu bekommen und bedeuten daher nichts. Man hat also einen Haufen Achivements zu Buche stehen bis man an die wichtigen und interessanten kommt. Wer sieht sich so etwas an? Reicht denn eine einfach Score nicht mehr? Nein, jetzt braucht man Bildchen dafür, dass man in Batman – Arkham Asylum jemanden von einem Gargoylekopf aus gehascht hat – als ob man in dem Spiel noch irgendwas anderes macht. Dann ist man in einer Community, in der allein aufgrund der Größe 50% aller Mitglieder das Spiel eh schon weiter sind als man selbst gespielt hat, was bringen einem dann all die Achivements?
Wir sehen uns also einem alten und überholten System gegenüber, das neu aufgebauscht wurde und ganz im Sinne des modernen Gaming in Art, Ort, Zeit und Inhalt zu 100% fixiert wurde. Wo man früher eine Score auf jede nur mögliche Art erlangen konnte und damit viele Freiheiten in der Entwicklung seiner eigenen Spielweise hatte kann man die Spielinterne Anerkennung heutzutage nur noch dadurch bekommen, dass man sich voll und ganz dem Willen der Entwickler unterwirft. Dieser wird dann online für einen verwaltet und der Welt präsentiert und steht offen zum weltweiten Vergleich. Man bemerkt, dass man vielleicht aus eigener Sicht etwas tolles erreicht hat, sieht aber im gleichen Atemzug, dass man im Weltvergleich nicht mal nennenswert ist, bestenfalls einer der tausenden, die es geschafft haben. Wo man sich früher mit Freunden gemessen hat und dann sein Selbstwertgefühl daran aufbauen konnte, dass man immerhin schon auf dem zweiten Platz in der Scoretabelle auf deine Heimkonsole war bedeutet es heute nichts mehr. Selbst wenn man absolut perfekt spielt kommt man nicht weit nach oben und man kann sich keinerlei Anerkennung mehr sicher sein.
Was macht das mit dem Selbstwertgefühl des neuen Gamers? Ich war damals jemand, weil ich einzigartig war und mich durch mich, mein Können und meine Spielweise von den anderen abhob. Es waren nicht viele, aber sie teilten meine Leidenschaft. Die Spiele ließen mich in mein Spiel rein kommen und zwangen mir nicht ihre Art auf. Die Hersteller gaben mir die Freiheit selbst zu bestimmen wie ich mich online repräsentierte und mit wem ich mich dort abgab. Die Communitys achteten mich für meine Art zu spielen, man diskutierte darüber, analysierte und verbesserte sich. Online zu sein hieß den Tag hinter sich zu lassen, wenigstens für ein paar Minuten oder Stunden. Es war eine Möglichkeit sich auszutoben, sich mit etwas anderem zu beschäftigen, den Alltag einmal links liegen zu lassen, in eine andere Welt einzutauchen – Teil von etwas zu sein, eben wie das Fußballspiel mit den Freunden, nur epischer und fantasievoller, mit mehr Möglichkeiten und in anderen Rollen.
Heute ist es für viele Alltag, es ist industrialisiert. Das Spiel ist nicht mehr Teil von dem Spieler, der Spieler ist jetzt Teil der Industrie. Die Masse an Spielen und Spielern hat endlos zugenommen und jeder versuch den anderen zu übertrumpfen ist durch die Vorgaben des Herstellers von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Entwickler sind zu beschäftigt mit ihrem eigenen Wettkampf um den besseren Onlinedienst, die größte Community und die volleren Server etc… Der einzelne Spieler geht verloren, er ist nur noch eine weggekürzte eins am Ende eine Statistik.
Der neuen Generation von Gamern scheint es dem Andrang nach zu urteilen jedoch so zu gefallen. Kennen sie es nicht anders, oder wollen sie es nicht anders? Teil von einer Masse zu sein hat auch seine Vorteile. Zum Beispiel wenn man dem derzeitigen Online Megatrend folgt und andere sinnlos Beleidigt. Bei mehreren tausend Lamern fällt einer nicht mehr auf und die Industrie kann und will ohnehin nicht jeden zahlenden Kunden verbannen, der mal jemanden beleidigt.
Obwohl das so auch nicht ganz stimmt. Dadurch, dass Spiele heute online registriert werden müssen und erst vom Hersteller freigegeben werden liegt die Möglichkeit zu Spielen ganz im Ermessen des Herstellers. Schon im Kaufvertrag unterschreibt der Spieler, dass er sich gerade für den kauf einer 30 Tage Demo für 70 € entschieden hat. Alles was danach kommt ist nicht Teil des Kaufs, denn die 70 € hat man nicht etwa für das Spiel bezahlt, sondern für die Hülle, das Handbuch und die CD. Wir erinnern uns an früher, wo man auch tatsächlich ein Spiel bekam, wenn man eins kaufte. Wo man es jederzeit installieren und spielen konnte, ohne am Internet zu hängen, Auf jeder LAN Party beim Kumpel um die Ecke.
Das geht jetzt nicht mehr, jetzt zahlt man für seine Unterhaltung und zwar doppelt und dreifach.
Die Hersteller behindern die Gamer also bewusst am echten sozialen Kontakt und zwingen sie in die eigenen Communitys. Wo man früher, wenn man nicht online sein wollte noch frei entscheiden durfte wird man heute in die Einheitsform gepresst und muss sich online offenbaren, wenn man seine 70 € nicht verschenkt wissen will. Was da noch hinzu kommt ist, dass solche Standards mit dem Käufer nicht angesprochen sind und nur marginal auf der Verpackung zu lesen sind. Man kennt allerdings auch nicht die AGBs der Onlineregistrierungen, so ist die rechtliche Lage also unbekannt bis zu Letzt. Übersetzt bedeutet das, dass man, wenn man sich ein Auto kauft erst nach der Bezahlung erfährt, dass man es nur Fahren kann wenn man sich beim Hersteller registriert und ihm damit die Macht überträgt einem jederzeit die Fahrerlaubnis ohne die Angabe von Gründen zu entziehen. kein Gericht dieser Welt würde einen solchen Kaufvertrag für gültig erklären, dennoch sind diese Methoden in der Spielebranche gang und gäbe – in der freien Wirtschaft nennt man so etwas Betrug.
Letztlich ist das aber auch das Menschliche Miteinander, das Kennenlernen von neuen, interessanten Leuten, etwas, das in der Masse untergeht. Anstatt mehr Freunde zu finden findet man nur mehr “Friends”, das sind virtuelle Bekannte, die man in der regel nicht kennt und mit denen man selten bis nie wirklich etwas zu tun hat. Es geht dabei mehr um ein Pendant zu einer Briefmarkensammlung. Es ist beinahe Egal dass es Menschen sind, s könnten genausogut einfach nur Bildchen sein, es wäre sich nicht viel ändern. Man lernt sich nicht kennen, tauscht sich nicht aus, es entstehen keine interessanten Diskussionen – bestenfalls gibt es Flamewars, denn durch Beleidigen fällt man noch am Ehesten auf. Vermutlich ein weiterer Grund für den großen Anstieg der Flamewars. Man verwechselt scheinbar mittlerweile schon Anerkennung mit Auffallen und will daher also um jeden Preis Auffallen.
Dennoch gibt es abseits der Hersteller-Communitys noch kleinere Communitys. Diese sind zwar entweder derartig klein, dass sie unscheinbar am Rande existieren und nahezu inaktiv wirken, oder groß genug um konstant von Trolls und anderem Gestalten des Internets heimgesucht zu werden. Bei den letzteren hängt alles an den Administratoren. Sind sie nachsichtig, dannhat die Community keine Chance. Trolls und Kiddies werden mit ihr Ball spielen – sind sie zu hart, dann verschrecken sie die falschen. ein gesunder Mittelweg muss her. Dennoch: ein Admin, der nicht durchgreift ist am Ende schlechter für die Community als ein Admin, der zu Hart vorgeht. Ich war selber Zeuge vom Untergang einer der großen alten Communitys aus genau diesem Grund, jetzt ist das Forum eine Trolltanzfläche.
Wenn ihr in einer kleinen Community für ein älteres Spiel seid, die noch nicht Opfer von Trollangriffen wurde, dann gratuliere ich euch, haltet diese Community in ehren, denn so etwas findet ihr so schnell nicht wieder.

-Holger Sontag
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